Moodboards dienen als Ausgangspunkt für die Entwicklung neuer Gestaltungskonzepte. Sie bieten Inspiration und Orientierung, um ein stimmiges Gesamtbild zu schaffen und eine visuelle Richtung vorzugeben. Bei Wilkhahn entwickelt Alina Schnizler regelmäßig neue Moodboards. Im Gespräch gibt uns die Designerin Einblicke in den Entwicklungsprozess zwischen Tradition und Trend – und verrät praktische Tipps für die Erstellung eigener Moodboards.
Frau Schnizler, Sie gestalten die Moodboards bei Wilkhahn – wie gehen Sie dabei vor?
Zunächst einmal ist es wichtig zu erwähnen: Es gibt zwar ein paar Grundregeln, aber kein Patentrezept! Die Arbeit an den Moodboards und die Definition von Farbtrends ist für mich ein kontinuierlicher Prozess, bei dem ich wie ein Schwamm alle Eindrücke aufsauge, die mich umgeben – von Mega- bis hin zu Mikrotrends. Digitale Kunst, Illustration und Mode sind meine Haupteinflüsse. Um die eigentlichen Moodboards zu erstellen, suche ich ganz klassisch in Magazinen und im Internet nach Bildern, die zu meiner Grundidee passen. Diese Suche ist manchmal der schwierigste Teil des Prozesses – ich bin wirklich gespannt, ob die neuen Möglichkeiten der KI (künstliche Intelligenz) mir beim nächsten Mal dabei helfen kann.
Stehen die wesentlichen Richtungen fest, hole ich bei Wilkhahn alle Stoffmuster hervor. Da unsere Stoffkollektion ständig wächst – kürzlich haben wir mit Morph, Re-Wool, Oceanic und Cyber vier neue Stoffe eingeführt – nimmt dieser Teil viel Zeit in Anspruch. Man findet mich tagelang inmitten eines riesigen Stapels von Stoffen und Stoffresten in verschiedenen Farben. Für manche sieht das nach Chaos aus, aber es ist eine sehr strukturierte und konzentrierte Arbeit. Meistens beginne ich mit neutralen Farben wie Beige- oder Grautönen und füge dann Akzentfarben hinzu, die dem Gesamtbild seinen einzigartigen Charakter verleihen.
Zu den bestehenden vier Moodboards sind die Varianten Delicate und Super Real hinzugekommen. Wofür stehen diese neuen Farbwelten?
Wir haben die vier Moodboards, die wir letztes Jahr eingeführt haben, leicht verändert und zwei neue eingeführt. Delicate ist das femininere und hellere Gegenstück zum bereits bestehenden Moodboard Sophisticated. Mir gefällt die elegante Ausstrahlung, die von Delicate ausgeht. Die großen Strukturen der schweren Wollstoffe bilden einen schönen Kontrast zu den glänzenden Accessoires in Gold und Messing – Delicate wirkt insgesamt sehr edel und zugleich gemütlich.
Sophisticated steht für Tradition und Handwerkskunst. In diesem Jahr haben wir die Farbpalette um Eisblautöne erweitert, eine Farbe, die an technische Innovationen wie E-Mobilität erinnert. Tradition bedeutet für uns nicht verstaubt und alt, sondern klassisch – und kann dennoch innovativ sein.
Super Real vermittelt den Einfluss der digitalen Welt. Digitalisierung, Konnektivität und Technologien wie KI sind wesentliche Bestandteile unseres Alltags. In der futuristisch anmutenden Welt von Super Real dreht sich alles um Metall: Holz verbinden wir oft mit Nachhaltigkeit, doch Aluminium kann im Gegensatz dazu beispielsweise vollständig und unendlich oft recycelt werden.
Sie sprechen das Thema Nachhaltigkeit an. Gibt es weitere aktuelle Trends, dieeinen großen Einfluss auf Ihre Arbeit haben?
Generell ist es unser Ansatz, Werte wie Nachhaltigkeit, Tradition oder Wohlbefinden aufzugreifen und dafür ein Farbsystem zu finden. Nachhaltigkeit spielt bei Wilkhahn schon immer eine große Rolle, sowohl bei den Produktionsprozessen als auch in der Produktentwicklung oder bei den Stoffkollektionen. Wir möchten unseren Kund*innen mehrere ökologische Optionen bieten und achten bei der Neueinführung von Stoffen generell darauf, dass sie aus sortenreinen, recycelten oder natürlichen Materialien bestehen. Der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit spiegelt sich auch in den Farbtrends wider: Earth, eine warme, natürliche bzw. ursprüngliche Farbwelt in Sand-, Erd- und Rottönen ist in Europa, den USA und Asien der große Favorit unter unseren Moodboards.
Ein weiterer wichtiger Trend ist, dass die Bürowelt seit Jahren immer wohnlicher wird. Das stellt auch andere Anforderungen an die Bezugsstoffe. Unsere Produktneuheiten Yonda Conference und Decide haben beispielsweise große Stoffflächen und können ihr Erscheinungsbild durch die Wahl des Bezugsstoffes an unterschiedliche Atmosphären anpassen. Gröbere Strukturen wie bei Oceanic oder Cyber schmeicheln großen Polsterkörpern, Re-Wool hüllt sie in ein wohnliches und trotzdem schlichtes Wollkleid und Morph sorgt dafür, dass sie sich in jede Farbumgebung einfügen.
Gibt es weitere Materialien, die für bestimmte Anlässe besonders geeignet sind?
Während sich für einen Drehstuhl ein unifarbener Stoff wie Racer oder Lona empfiehlt, würde ich für Soft-Seating-Möbel einen mehrfarbigen Stoff mit größeren Strukturen wählen, zum Beispiel Credo, Steelcut Trio oder auch Oceanic. Auf dem diesjährigen Salone del Mobile in Mailand konnte man sehen, dass auch Kombinationen unterschiedlicher Strukturen direkt nebeneinander sehr gut funktionieren. In unseren Farbwelten Sophisticated und Delicate darf Leder natürlich nicht fehlen. Ich persönlich bin mittlerweile ein großer Fan von Wollstoffen, weil sie ein sehr gutes Sitzklima bieten und auf natürliche Weise schmutzabweisend sind. Übrigens achten wir bei der Auswahl der Wollstoffe auch darauf, woher die Wolle kommt und dass bei der Schafzucht keine schmerzhaften Prozeduren eigesetzt werden, die gegen das Tierwohl verstoßen. Zudem sind in jedem Moodboard Stoffe aller Preiskategorien zu finden. Wir möchten unseren Kund*innen zeigen, dass tolle Atmosphären auch mit preisgünstigeren Materialien erschafft werden können.
Haben Sie einen Tipp für die Erstellung eines Moodboards?
Suchen Sie Bilder, die Sie ansprechen, sammeln Sie sie und setzen Sie sie in Stoffe oder Farben um. Arbeiten Sie immer mit echten Farbmustern, die so groß wie möglich sein sollten. Das ist besonders wichtig bei Stoffen, die aus verschiedenen Garnen bestehen. Ich höre stets auf meine innere Stimme, wenn ich Farben kombiniere – Farben sind ein sehr emotionales Thema. Vertrauen auch Sie auf Ihr Bauchgefühl. Und der beste Rat, den ich geben kann, ist wahrscheinlich: Trauen Sie sich, Farbe zu verwenden! Schwarz-Weiß ist natürlich eine elegante und langlebige Lösung, aber es gibt nichts Schöneres, als einem Raum mit Farbakzenten eine besondere Atmosphäre zu verleihen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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