Freespace

15.06.2018 | by Cordula Vielhauer

Die 16. Architekturbiennale in Venedig ist eröffnet. Die alle zwei Jahre stattfindende internationale Superausstellung zur Architektur mit ihren beiden Hauptorten Arsenale und Giardini ist weniger Schaufenster und „Schaulaufen“ aktueller Bauprojekte als vielmehr ein Ort der inhaltlichen Positionierung der Architektenschaft. „Freespace” ist in diesem Jahr ihr Titel. Ein Kunstwort, das die von Biennale-Direktor Paolo Baratta ernannten Kuratorinnen Yvonne Farrell und Shelley McNamara vom irischen Büro Grafton in einem Manifest definiert haben: „Freespace beschreibt Großzügigkeit, Menschlichkeit, betont die Qualität des Raums an sich und die ‚Naturgeschenke‘ Licht, Luft, Materialien… Es ist ein Möglichkeitsraum, frei von vorgegebenen Programmen und Nutzungen.” Auch die räumlichen Qualitäten von Venedig selbst, dem Austragungsort der Biennale, sollen auf der Ausstellung lebendig werden, erklären die Architektinnen. So schön dieses Manifest und dieser Anspruch klingen – vom Alltag der meisten Architekten in der Zwangsjacke aus bürokratischer Regulierungswut und investorengetriebener Flächenmaximierung sind sie tatsächlich so weit entfernt wie die Lagunenstadt von der Duisburger Fußgängerzone.

Doch wie haben Grafton und die 71 ausgewählten Teilnehmer der Hauptausstellung den „Freespace” umgesetzt? Und wie die Kuratoren der Länderpavillons, die sich seit Rem Koolhaas’ Biennale von 2014 (mit dem seinerzeit ausgegebenen Motto “Absorbing Modernism”) ebenfalls zumeist an das Thema halten?

Während Farrell und McNamara in ihrer Szenografie die Mittelachse des Arsenale, entlang derer sich die einzelnen Beiträge aufreihen, komplett freilassen, entwickeln viele Teilnehmer großformatige Rauminstallationen, um so eine inhaltliche und räumliche Interpretation eines spezifischen Themas zu liefern.

Großbritannien. Foto: maipr

Diese Vorgehensweise nutzen vor allem die Kuratoren der Länderpavillons, allen voran Großbritannien. Die beauftragten Architekten Caruso St. John lassen den Pavillon unter dem Titel „Island” leer, um dort über gesellschaftliche und politische Themen mit Architekturbezug zu diskutieren. Eine auf das Dach des Hauses gebaute Terrasse bietet zusätzlichen Freiraum – ab 16 Uhr stilecht für eine Tasse Tee – und einen Ausblick über die Giardini. Diese auf den Brexit bezogene Bespielung brachte den Briten eine „Special Mention“ der diesjährigen Biennale-Jury ein.

Schweizer Pavillon, Foto: © Wilson Wootton, Alessandro Bosshard, Li Tavor, Matthew van der Ploeg und Ani Vihervaara

Auch die Gewinner des Goldenen Löwen setzen auf eine Rauminstallation: Die Kuratoren des Schweizer Pavillons – Alessandro Bosshard, Li Tavor und Matthew van der Ploeg von der ETH Zürich – verwandeln den Flachbau von Bruno Giacometti in ein labyrinthisches Raumgefüge aus Zwergen- und Riesenbehausung. „Svizzera 240: House Tour“ ist ein intelligenter, ironischer Kommentar auf den mit Echtholzparkett, weißen Wänden, Einbauküche und hochwertigen Türbeschlägen immergleichen Wohnungsneubau in der Schweiz und dessen „optimale“ Raumhöhe von 2,40 m.

Frankreich. Foto: maipr

Ein anderer Trend bei der Gestaltung der Beiträge zeigte eine detailverliebte Kleinteiligkeit: So haben die Franzosen in ihrem Pavillon ein Arsenal an Werkzeugen und Alltagsgegenständen an den Wänden drapiert, um die von ihnen vorgestellten “Infinite Spaces” – mehrfach umgenutzte Räume – mit handfesten Requisiten auszustatten. Der israelische Pavillon bleibt zwar im klassischen Ausstellungsformat aus Architekturmodellen, Plänen und Filminstallationen, widmet sich jedoch einem hochbrisanten geopolitischen Thema: Dem Umgang mit fünf heiligen Stätten im Land, die von allen drei monotheistischen Religionen – Juden, Muslimen und Christen – beansprucht werden. Die Kuratoren (Ifat Finkelman, Deborah Pinto Fdeda, Oren Sagiv und Tania Coen-Uzzielli) haben hier unter dem Titel „In Statu Quo: Structures of Negotiation“ den Zustand eines äußerst fragilen Nebeneinanders der Religionen aus architektonischer Sicht dokumentiert.

Israel. Foto: maipr
Sleeping Beauty – Reinventing Frei Otto’s Multihalle, Foto: Christoph Engel
Sleeping Beauty – Reinventing Frei Otto’s Multihalle. Foto: maipr

Das Thema “Freespace” wurde im Einzelnen also sehr unterschiedlich interpretiert – in vielen Beiträgen tatsächlich mit einem starken Bezug zum Alltag und zum öffentlichen Raum, in anderen mit einem reinen Selbstbezug auf das eigene Werk – was dem Besucher unter anderem eine fulminante Schau von Modellen aus der Werkstatt Peter Zumthors beschert. Von den “Sonderprojekten” sei noch die Ausstellung “Sleeping Beauty” zur Multihalle von Frei Otto erwähnt, die von Wilkhahn unterstützt und hier in einem eigenen Beitrag vorgestellt wird. Außerdem der dreiteilige Beitrag des Victoria & Albert Museums V&A, der dem abgerissenen Londoner Wohnungsbau “Robin Hood Gardens” (Alison und Peter Smithson) gewidmet ist.

Fragment des Wohnungsbaus „Robin Hood Gardens“, Beitrag des V&A Museums
Filminstallation des koreanischen Künstlers Do Ho Suh zum Wohnungsbau „Robin Hood Gardens“, Beitrag des V&A Museums

Termine und Orte:

Die 16. Internationale Architekturausstellung – La Biennale di Venezia läuft noch bis zum 25. November 2018.
Giardini della Biennale: Sestiere Castello, 30122 Venedig

Arsenale: Campielo Tana 2169/F, Sestiere Castello, 30122 Venedig

 

Alle Informationen zur 16. Architekturbiennale in Venedig:
www.labiennale.org/en/architecture/2018

 

Zur von Wilkhahn unterstützten Ausstellung „Sleeping Beauty – Reinventing Frei Otto’s Multihalle“

Zumthor Modelle. Foto: maipr

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