Relativität der Farben

26.02.2020
Ulm 1955: Johannes Itten kritisiert die Farbübung des offenbar etwas uneinsichtigen Studenten Lindinger. (Foto: Eva-Maria Koch-Hörmann, mit freundlicher Genehmigung der Leibniz Universität)

Herbert Lindinger, emeritierter Professor für Industrial Design und bis 1989 Dekan der Fakultät Architektur sowie Senator der Leibniz Universität Hannover, gehört nicht nur zu den großen österreichischen und deutschen Designern des 20. Jahrhunderts. Er ist auch ein Zeitzeuge und Mitgestalter der Entstehungsgeschichte des professionellen Produktdesigns der jungen Bundesrepublik sowie ein prägender Lehrer dieser Disziplin. Der 1933 in Oberösterreich geborene Lindinger studierte an der Hochschule für Gestaltung Ulm visuelle Kommunikation und Produktgestaltung und war dort ab 1962 bis 1968 selbst Dozent. Außerhalb Deutschlands lehrte er in den USA und in Indien. Neben seiner gestalterischen Tätigkeit veröffentlichte Lindinger auch zahlreiche wissenschaftliche Beiträge, beispielweise zur HfG Ulm. Für Wilkhahn entwarf er unter anderem einen „mechanikarmen Low-Cost-Stuhl“, der „physische Entlastung durch vielseitige Bewegungsmöglichkeiten“ bietet. Im Jahr 2017 widmete ihm die Deutsche Post eine Briefmarke in der Serie „Design aus Deutschland“.

Im Rahmen der Veröffentlichung „HOCHWEIT 2019“ der Leibniz Universität Hannover gab Herbert Lindinger Dr. Jens Broszeit ein Interview zum Nachwirken des Bauhauses in Deutschland mit dem Titel „Das Bauhaus und die Ulmer Hochschule für Gestaltung“. Das Gespräch geben wir hier in leicht modifizierter Form wider.

 

Jens Broszeit: Sind mit dem Bauhausjahr nicht auch unmittelbare Nachfolge-Institutionen gemeint, wie etwa die Hochschule für Gestaltung Ulm, an der Sie studiert und später gelehrt haben?

Herbert Lindinger: Sie mögen recht haben, zumal der deutsche Bundespräsident Horst Köhler am Tag der Deutschen Einheit daran erinnerte, dass zum kulturellen Selbstverständnis der Deutschen „die Dresdner Frauenkirche und der Kölner Dom, das Gewandhausorchester in Leipzig und die Berliner Philharmoniker, das Bauhaus in Dessau und die Ulmer Hochschule für Gestaltung“ gehören würden.

Fraglos gilt die diesjährige Würdigung „100 Jahre Bauhaus“ im Kern dem höchst anregenden und nachhaltigen Experiment Bauhaus und dies verdient.

Mit der Architektur- und Designgeschichte Vertrautere fragen sich natürlich, wer da genau gewürdigt wird. Bestand doch das Bauhaus selbst aus drei sehr unterschiedlichen Phasen, wobei die erste von 1919 bis 1924 in Weimar fast entgegengesetzt zu denen in Dessau von 1924 bis 1928 und Berlin bis 1933 erscheint. Unsere heutigen Studenten werden sich bei einer Exkursion zu den nahe gelegenen, von Walter Gropius 1914 entworfenen Fagus-Werken in Alfeld fragen, wie das Manifest des ersten Bauhausdirektors Gropius zur Bauhausgründung 1919 zu erklären ist. Es mutet beinahe mystisch an, rekurriert auf das Mittelalter, vertritt ein Rückbesinnen auf die Ideen der Arts-and-Crafts- Bewegung der 1890er Jahre in England und des Expressionismus. Revolutionär waren da nur die versammelten Maler Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Lyonel Feiniger, Paul Klee und Johannes Itten mit der bahnbrechenden Idee einer einjährigen Grundlehre, die den Gestalterausbildungen vorgeschaltet ist.

Für Architekten und Designer beginnt das epochale Bauhaus deshalb erst 1924 in Dessau, mit seinem revolutionären neuen Gebäude und den Meisterhäusern, mit den dazugekommenen Neueren – László Moholy-Nagy, Hannes Meyer – und den Jungen – Marcel Breuer, Josef Albers, Herbert Bayer, Marianne Brandt – und setzt sich mit dem vor den Dessauer Nazis nach Berlin geflüchteten Bauhaus mit Mies van der Rohe fort. Zu kurz. 1933 beendeten auch dort die noch mächtiger gewordenen Nazis das Experiment.

Dennoch: Bei den doch relativ flüchtigen Kenntnissen vom Bauhaus als solchem, selbst in interessierten Kreisen, darf man in der Tat vermuten, dass mit dieser Würdigung eine damals nicht unerheblich von Deutschland ausgehende allgemeine Neuorientierung des Bauens, des Design, der Kunst und der relevanten Ausbildungsvorstellungen erinnert werden soll.

Vielleicht ist dabei also auch der unmittelbaren VorkämpferN und zeitgleich wirkenden MitstreiterN gedacht, wie etwa des Deutschen Werkbund, eines Bruno Taut in Berlin, einem Otto Haesler in Celle, in Frankfurt des Stadtplaners Ernst May und Ferdinand Kramer oder einer Margarete Schütte-Lihotzky, Designerin der revolutionären Frankfurter Küche, und gerechterweise des sogar auf das Bauhaus direkt einwirkenden Niederländer Mart Stam oder den De-Stijl-Mitgründern Gerrit Rietveld und Theo van Doesburg. Und, wie Sie mit Ihrer Frage insinuierten, einigen Nachfolgeschulen wie dem New Bauhaus Chicago, dem Black Mountain College und der Ulmer Schule.

Wie stark war denn der Einfluss des Bauhauses auf die Ulmer Schule?

Anfangs erheblich. 1950 wollte die Schwester der von den Nazis hingerichteten Studenten Hans und Sophie Scholl mit ihrem späteren Mann Otl Aicher eine private Hochschule gründen, die helfen sollte, die Prinzipien der neuen demokratischen Gesellschaft zu verankern. Privat deshalb, weil man Zweifel hegte ob der Ernsthaftigkeit der angelaufenen Entnazifizierung in Wirtschaft und Ministerialbürokratie. Durch das Hinzustoßen des ehemaligen Bauhausschülers Max Bill aus Zürich – Architekt, Designer, Maler, Bildhauer, ähnlich umfangreich tätig wie 50 Jahre zuvor ein Peter Behrens – verlagerte sich das Ziel auf die Ausbildung in den Bereichen des industriellen Bauens, der Produktgestaltung und der visuellen Kommunikation, aber dies mit einem markanten gesellschaftlich-ethischen Anspruch. Bill, der erste Rektor, entwarf dazu ein äußerst eindrucksvolles Gebäudeareal, das entfernt an die von seinem Lehrer in Dessau, dem Bauhausdirektor Hannes Meyer, entworfene Bernauer Schule erinnert. Das Angebot von Walter Gropius, hierfür den Namen Bauhaus zu nutzen, wollte man nicht annehmen, wohl aber den Untertitel des ehemaligen Bauhauses „Hochschule für Gestaltung“. Gropius hielt 1955 die Festrede zum Bezug des Gebäudes.

Wirkten da anfangs auch Bauhauslehrende mit?

Die auffälligste der insgesamt wenigen Fortführungen von Bauhauskonzepten war das Prinzip der Grundlehre. Dabei war diese in den ersten drei von nur 15 Jahren der HfG stark durch die ehemaligen Bauhauslehrer Walter Peterhans, Johannes Itten, Helene Nonné-Schmitt, die Assistentin von Paul Klee, und Josef Albers geprägt. Wir Studenten begegneten diesen etwas mythischen Meistern natürlich mit großem Respekt. Noch nicht vertraut mit dem heute selbstverständlich gewordenen Yoga oder fernöstlichen Fitnessmethoden, befremdete und amüsierte uns allerdings, dass Itten uns jeden Morgen seinen Farbkurs mit Atem- und Bewegungsübungen neben den Arbeitstischen beginnen ließ. Ansonsten war er eher der Verkündende, Dozierende.

Albers hingegen hielt wenig vom Theoretisieren, empfahl Bücherlesen in Sachen Farbe tunlichst zu unterlassen. Ein konsequenter Anhänger des Learning by doing. Anders konnte man sich seiner Sicht des äußerst subtilen Interagierens der Farben auch nicht nähern.

 

Ulm 1955: „Das sehen Sie nicht richtig.“ Josef Albers belehrt Student Lindinger. (Foto: Eva-Maria Koch-Hörmann, mit freundlicher Genehmigung der Leibniz Universität)

Jens Broszeit: Sind mit dem Bauhausjahr nicht auch unmittelbare Nachfolge-Institutionen gemeint, wie etwa die Hochschule für Gestaltung Ulm, an der Sie studiert und später gelehrt haben?

Herbert Lindinger: Sie mögen recht haben, zumal der deutsche Bundespräsident Horst Köhler am Tag der Deutschen Einheit daran erinnerte, dass zum kulturellen Selbstverständnis der Deutschen „die Dresdner Frauenkirche und der Kölner Dom, das Gewandhausorchester in Leipzig und die Berliner Philharmoniker, das Bauhaus in Dessau und die Ulmer Hochschule für Gestaltung“ gehören würden.

Fraglos gilt die diesjährige Würdigung „100 Jahre Bauhaus“ im Kern dem höchst anregenden und nachhaltigen Experiment Bauhaus und dies verdient.

Mit der Architektur- und Designgeschichte Vertrautere fragen sich natürlich, wer da genau gewürdigt wird. Bestand doch das Bauhaus selbst aus drei sehr unterschiedlichen Phasen, wobei die erste von 1919 bis 1924 in Weimar fast entgegengesetzt zu denen in Dessau von 1924 bis 1928 und Berlin bis 1933 erscheint. Unsere heutigen Studenten werden sich bei einer Exkursion zu den nahe gelegenen, von Walter Gropius 1914 entworfenen Fagus-Werken in Alfeld fragen, wie das Manifest des ersten Bauhausdirektors Gropius zur Bauhausgründung 1919 zu erklären ist. Es mutet beinahe mystisch an, rekurriert auf das Mittelalter, vertritt ein Rückbesinnen auf die Ideen der Arts-and-Crafts- Bewegung der 1890er Jahre in England und des Expressionismus. Revolutionär waren da nur die versammelten Maler Wassily Kandinsky, Oskar Schlemmer, Lyonel Feiniger, Paul Klee und Johannes Itten mit der bahnbrechenden Idee einer einjährigen Grundlehre, die den Gestalterausbildungen vorgeschaltet ist.

Für Architekten und Designer beginnt das epochale Bauhaus deshalb erst 1924 in Dessau, mit seinem revolutionären neuen Gebäude und den Meisterhäusern, mit den dazugekommenen Neueren – László Moholy-Nagy, Hannes Meyer – und den Jungen – Marcel Breuer, Josef Albers, Herbert Bayer, Marianne Brandt – und setzt sich mit dem vor den Dessauer Nazis nach Berlin geflüchteten Bauhaus mit Mies van der Rohe fort. Zu kurz. 1933 beendeten auch dort die noch mächtiger gewordenen Nazis das Experiment.

Dennoch: Bei den doch relativ flüchtigen Kenntnissen vom Bauhaus als solchem, selbst in interessierten Kreisen, darf man in der Tat vermuten, dass mit dieser Würdigung eine damals nicht unerheblich von Deutschland ausgehende allgemeine Neuorientierung des Bauens, des Design, der Kunst und der relevanten Ausbildungsvorstellungen erinnert werden soll.

Vielleicht ist dabei also auch der unmittelbaren VorkämpferN und zeitgleich wirkenden MitstreiterN gedacht, wie etwa des Deutschen Werkbund, eines Bruno Taut in Berlin, einem Otto Haesler in Celle, in Frankfurt des Stadtplaners Ernst May und Ferdinand Kramer oder einer Margarete Schütte-Lihotzky, Designerin der revolutionären Frankfurter Küche, und gerechterweise des sogar auf das Bauhaus direkt einwirkenden Niederländer Mart Stam oder den De-Stijl-Mitgründern Gerrit Rietveld und Theo van Doesburg. Und, wie Sie mit Ihrer Frage insinuierten, einigen Nachfolgeschulen wie dem New Bauhaus Chicago, dem Black Mountain College und der Ulmer Schule.

Wie stark war denn der Einfluss des Bauhauses auf die Ulmer Schule?

Anfangs erheblich. 1950 wollte die Schwester der von den Nazis hingerichteten Studenten Hans und Sophie Scholl mit ihrem späteren Mann Otl Aicher eine private Hochschule gründen, die helfen sollte, die Prinzipien der neuen demokratischen Gesellschaft zu verankern. Privat deshalb, weil man Zweifel hegte ob der Ernsthaftigkeit der angelaufenen Entnazifizierung in Wirtschaft und Ministerialbürokratie. Durch das Hinzustoßen des ehemaligen Bauhausschülers Max Bill aus Zürich – Architekt, Designer, Maler, Bildhauer, ähnlich umfangreich tätig wie 50 Jahre zuvor ein Peter Behrens – verlagerte sich das Ziel auf die Ausbildung in den Bereichen des industriellen Bauens, der Produktgestaltung und der visuellen Kommunikation, aber dies mit einem markanten gesellschaftlich-ethischen Anspruch. Bill, der erste Rektor, entwarf dazu ein äußerst eindrucksvolles Gebäudeareal, das entfernt an die von seinem Lehrer in Dessau, dem Bauhausdirektor Hannes Meyer, entworfene Bernauer Schule erinnert. Das Angebot von Walter Gropius, hierfür den Namen Bauhaus zu nutzen, wollte man nicht annehmen, wohl aber den Untertitel des ehemaligen Bauhauses „Hochschule für Gestaltung“. Gropius hielt 1955 die Festrede zum Bezug des Gebäudes.

Wirkten da anfangs auch Bauhauslehrende mit?

Die auffälligste der insgesamt wenigen Fortführungen von Bauhauskonzepten war das Prinzip der Grundlehre. Dabei war diese in den ersten drei von nur 15 Jahren der HfG stark durch die ehemaligen Bauhauslehrer Walter Peterhans, Johannes Itten, Helene Nonné-Schmitt, die Assistentin von Paul Klee, und Josef Albers geprägt. Wir Studenten begegneten diesen etwas mythischen Meistern natürlich mit großem Respekt. Noch nicht vertraut mit dem heute selbstverständlich gewordenen Yoga oder fernöstlichen Fitnessmethoden, befremdete und amüsierte uns allerdings, dass Itten uns jeden Morgen seinen Farbkurs mit Atem- und Bewegungsübungen neben den Arbeitstischen beginnen ließ. Ansonsten war er eher der Verkündende, Dozierende.

Albers hingegen hielt wenig vom Theoretisieren, empfahl Bücherlesen in Sachen Farbe tunlichst zu unterlassen. Ein konsequenter Anhänger des Learning by doing. Anders konnte man sich seiner Sicht des äußerst subtilen Interagierens der Farben auch nicht nähern.

Was hat Sie in Ulm besonders beeindruckt?

Das Ambiente: die sich am Rande von Ulm den Albausläufer hochschlängelnde, heute denkmalgeschützte Architektur. Ein Campus, mit den dort wohnenden Dozenten und Studenten, der Blick hinunter ins Donautal und bei Föhn bis zu den Allgäuer Alpen. Die Atmosphäre: neben den permanenten Dozenten viele Gastdozenten unterschiedlichster Disziplinen wie Konrad Wachsmann, Frei Otto, H.M. Enzensberger, Charles Eames, Walter Jens, Eugen Gomringer, Gerd Ruge, Reyner Banham, Ralf Dahrendorf oder Alexander Mitscherlich. Musiker wie Wolfgang Fortner, Mauricio Kagel oder Pierre Boulez verirrten sich leider nur selten dorthin. Dann, dass nahezu die Hälfte der Dozenten und der Studenten aus dem Ausland kam und das nur knapp zehn Jahre nach den Gräueltaten der Deutschen und Österreicher. An den deutschen Universitäten lag zu dieser Zeit der Ausländeranteil übrigens bei fünf Prozent. Die ausgelassenen Partys jedes Wochen- ende an der Bar, oft mit den Ulmer Theaterleuten wie Peter Palitsch oder Hannelore Hoger. Oder die gefühlte Übereinstimmung der spartanischen Architektur mit Programm, Zielen und dem eigenen Tun.

Und woran erinnern Sie sich eher ungern?

An das Ende der Ulmer Schule und damit, wenn man so will, eine weitere Ähnlichkeit mit dem Bauhaus. Eine versteckte Bekämpfung durch die Ultrakonservativen, Nazis und Ex-Nazis. So musste Max Bill die mit Stahl konzipierten Gebäude in Beton umplanen, nachdem die fest versprochene Stahlspende aus dem Ruhrgebiet zurückgezogen wurde. Ein früheres SA-Mitglied hatte als Journalist das Gerücht gestreut, die Gründer in Ulm seien allesamt Kommunisten. Nach jahrelang mühevoll erreichten Zuschüssen der öffentlichen Hand hatte es 1967 die NPD mit 11 Prozent der Wählerstimmen geschafft – ähnlich wie teilweise heute –, die Konservativen noch mehr nach rechts neigen zu lassen und der HfG die nötigen erhöhten Zuschüsse zu versagen. Ein großer Fehler, bekannte der ehemalige Ministerpräsident Lothar Späth Jahre später.

Immerhin, die Schule in Ulm wurde nur einmal geschlossen, das Bauhaus gleich dreimal; Ulm hatte nur die Erzkonservativen und die NPD zum Gegner, das Bauhaus 1928 und 1933 brutale Schergen. Beide Experimente hielten ähnlich lang: 14, 15 Jahre. Dass Gropius 1968 unter den demonstrierenden Ulmer Studenten und Dozenten der HfG Ulm vor dem Stuttgarter Landtag stand, war ein letztes Zeichen der erörterten Beziehungen.

HfG Ulm, Architekt: Max Bill, 1955 (Foto: Ernst Hahn © HfG-Archiv/Museum Ulm, mit freundlicher Genehmigung)

Was war das Neue und das Nachhaltigste an der HfG, das zur Außendarstellung der Bundesrepublik Deutschland beitrug, wie etwa bei den Olympischen Spiele ʼ72 in München?

Vor allem die bewusste Verzahnung der Gestalterausbildung mit soziokulturellen, technologischen und methodischen Wissenschaften. Das entwickelte Ausbildungs-Curriculum, als Ulmer Modell bekannt, hat sich weltweit verbreitet, die materialienunabhängige Gestalterausbildung, abweichend vom Bauhauskonzept, das neue, wissenschaftlich untermauerte Grundlehrekonzept von Tomás Maldonado, die filmischen Experimente bei Alexander Kluge und Edgar Reitz, erste ökologische Orientierungen und Widerstand gegen das Herüberschwappen der Affluent Society aus den USA und beispielhafte neue Designbeiträge wie das aufsehenerregende, nachhaltige Designkonzept für die Firma Braun durch Hans Gugelot und Otl Aicher, von Dieter Rams konsequent fortgesetzt, das Corporate Design der Lufthansa und das der Olympischen Spiele in München 1972, mit dem Otl Aicher, neben Günter Behnisch und Frei Otto, nach allgemeiner Einschätzung ein neues, sympathisches Bild von den Deutschen zu vermitteln vermochte.

Bauhaus und HfG waren verglichen mit heutigen Fakultäten für Architektur oder Design eigentlich „Zwergschulen“. Wie ist die enorme weltweite Resonanz zu erklären?

Resonanzstarke Künstlerbewegungen wie etwa der Futurismus oder Monte Verità bei den Poeten waren immer „Zwerg-Gruppen“: Eine kleine, überschaubare Anzahl ähnlich Denkender findet und wirkt zusammen, meist mit einem ungewöhnlichen gemeinsamen Manifest. Einem sehr anspruchsvollen, etwas unrealistisch erscheinenden, visionären Programm, das vor allem Wissenschaftler nie unterschreiben würden, ja sie die Augen verdrehen lässt, ebenso wie größere Gruppierungen von Architekten oder Künstlern an Akademien, Hochschulen oder Universitäten.

So wollten etwa die Futuristen die radikale Zerstörung geltender Kultur, die holländische De-Stijl-Gruppe die „Einheit von Kunst und Leben“, das Bauhaus in Weimar „die Vereinigung von Kunst und Gewerbe“, in Dessau „die Einheit von Kunst und Technik“ und Ulm zu Anfang „den Aufbau einer neuen Kultur vom Löffel bis zur Stadt“. Das hat Fanalwirkung, besonders empfänglich dafür ist die Jugend und – ich gebe es zu – auch ich als damals 21-Jähriger.

Im Jahr 2017 wurden Sie von der Deutschen Post mit einer Briefmarke geehrt. Welche Bedeutung hatte das Studium bei den ehemaligen Bauhauslehrern für Ihr persönliches Werk und für Ihr Wirken als Professor an der Leibniz Universität Hannover?

Mit der Briefmarkenserie „Design in Deutschland“ wurde nicht nur ich (als Österreicher), sondern elf Designer seit 1900 insgesamt geehrt. Darunter Peter Behrens, seinerzeit Bürochef von Gropius, Le Corbusier und Mies van der Rohe oder die Bauhäusler Marcel Breuer (als Ungar), Marianne Brandt und Wilhelm Wagenfeld. Die Stuttgarter U-Bahn auf meiner Marke steht dabei nur stellvertretend für mein Wirken, bei dem allerdings die Gestaltung von U-, S- oder Hängebahnen wie für Hannover, Frankfurt, Berlin und Düsseldorf sowie Stadtlinienbussen eine gewisse Rolle spielt. Die von meinem Lehrer Hans Gugelot und mir 1960 gestaltete U-Bahn Hamburg wurde übrigens kürzlich zum mobilen Denkmal erklärt.

Meine Wege sind zugegeben stark von meinen Lehrern geprägt und gerne denke ich an sie zurück. Die Begeisterung und Entwicklung meines Farbensinns etwa, wie er vielleicht in den Interiors der eben erwähnten Fahrzeuge sichtbar wird, verdanke ich vorwiegend Johannes Itten und Josef Albers. Auch eine meiner fast 30 Jahre lang gehaltenen Vorlesungen stützte sich darauf. Ittens Farbtheorie fußte auf Goethes Kontrasttheorie, erweitert von dem französischem Textilindustriellen Eugène Chevreul, dann dem Impressionisten Georges Seurat und Ittens Lehrer Adolf Hölzel. Ich habe diese Kontraste um die Sekundär- und Tertiärfarbenkontraste ergänzt, die wir in vielen Bildern und Aquarellen Paul Klees so eindrucksvoll wiederfinden und die er in seiner Farbtheorie auch dargestellt hat. Indem ich den Begriff „Relationen“ statt „Kontraste“ benutzte, gelang es auch, das die Relativität der Farben betonende Konzept von Albers zu integrieren. Zudem verband ich es mit gut 15 funktionalen Parametern in Architektur und Design.

Auch verfolgte ich hier am Fachbereich Architektur der Leibniz Universität neben dem Schwerpunkt Industrial Design eine Weiterentwicklung des Ulmer Grundlehreprogramms im Zusammenwirken mit meinem Kollegen Stefan Schwerdtfeger – nebenbei bemerkt, Sohn des ehemaligen Bauhausschülers Kurt Schwerdtfeger. Die Einbettung meines Lehrstuhls Industrial Design in die Architekturabteilung weitete auch mein persönliches Sicht- und Entwurfsspektrum: Ursprünglich mehr grafisch und als Ausstellungsgestalter tätig aufgrund eines abgeschlossenen Studiums in Österreich, dann die Hinwendung zum Design dank eines Diploms für Produktgestaltung in Ulm, führte dies schließlich vermehrt zu einem Interesse an Stadtgestaltung, so etwa zur Neuplanung der größten Plätze in Heidelberg und Darmstadt.

Gab es mit Ihnen hier und im Norden noch anderes Bauhaus-Relevantes?

Zweifellos, zumal Unmittelbareres. Neben den erwähnten Vorläufern wie den Fagus-Werken von 1911 und Parallelstreitern wie Otto Haesler in Celle wirkten nach 1945 an der Landeskunstschule Hamburg, der heutigen Hochschule der Bildenden Künste, die Bauhäusler Hassenpflug, Kranz, Schleifer, Lindig, Bill und Marcks, der auch an der hiesigen Werkkunstschule tätig war. Hier in Hannover war es bekanntlich Gropius mit einer Villa, Otto Umbehr als Urgestein der lokalen Fotodokumentation und Herbert Hirche, Schüler von Mies van der Rohe am Bauhaus, der für Wilkhahn in Bad Münder das Verwaltungsgebäude und viele Möbel entwarf. Zusammen mit vielen ehemaligen Ulmer Lehrern und Absolventen trug er wesentlich dazu bei, dass diese niedersächsische Firma zu einem weltweit bekannt gewordenen und tätigen Pionierunternehmen für moderne Büromöbel reüssierte. Erinnern möchte ich auch an Alexander Dorner, der in Wikipedia als einer der innovativsten und einflussreichsten Museumsdirektoren des 20. Jahrhunderts bezeichnet wird.

Als a.o. Professor für Kunst- und Baugeschichte unseres Fachbereichs Architektur und zugleich Direktor des Provinzialmuseums (heutiges Landesmuseum) Hannover hat er 1927 mit El Lissitzky das „Kabinett der Abstrakten“, heute im Sprengel Museum, aufgebaut. Er vermittelte das De-Stijl-Mitglied Vordemberge-Gildewart, einen weiteren meiner Lehrer in Ulm für Typografie, an die Firma Pelikan, war Direktor der Kestnergesellschaft und nach seiner Emigration unter anderem Museumsdirektor an der renommierten Rhode Island School of Design. Aufgrund seiner früheren Kontakte zu Dessau verfasste er eines der besten und knappsten Porträts über das Bauhaus in dem Buch zur Ausstellung Bauhaus 1919–1928 im MoMA in New York 1938.

Wie sehen Sie das Designstudium an deutschen Hochschulen der Zukunft, ist der Geist des Bauhauses noch erkennbar?

Weder die „Dessauer“ noch die „Ulmer“ würden heute ein nur fortgeschriebenes Programm verfolgen. Die Menschheit weiß global – zumindest theoretisch –, wie man unsere Häuser und Dinge sinnvoll, funktionsgerecht und zugleich schön und faszinierend plant. Und an Talenten mangelt es uns beileibe nicht. Das bedarf stets der Weiterentwicklung und Hege, zweifellos, aber ist zurzeit nicht unser Hauptproblem.

Die nächsten Dekaden werden wohl oder übel zentral dem Stoppen des Klimawandels zu gelten haben. Einzelne Architekten und Designer haben da schon beachtliche Beiträge versucht und geleistet. Aber das reicht nicht. Das ungelöste Problem besteht offensichtlich darin, dass die Mehrheit der Gesellschaft radikale Änderungen für unaufschiebbar hält, aber nicht bei sich. Das kann man durch ein rigides System an verordneten Verzichten und Verboten zwar erreichen, das greift aber zu spät wegen der überaus vorsichtigen, rücksichtsvollen, auf Wahlen schielenden Politik.

Es bedarf sichtlich der Entwürfe von durchaus lebenslustbetonten Verhaltens- und Lebensweisen, die ein Weiterleben unserer schönen Fauna und Flora und der Menschheit ermöglichen, selbst wenn vorübergehend Komfort und Schönheit hintenanstehen müssen. Doch nicht Aufgabe der Gestalter, wird man sagen.

Aber soll man das den Politikern, den anderen Disziplinen oder dem armen Nachbarn allein überlassen? Gerade diejenigen, die sich wie wir mit zu den Kreativen zählen, sind dazu aufgerufen. Wenn der in der Architektur-, Design- und Kunstgeschichte so oft anvisierte und von Pessimisten belächelte „Neue Mensch“ gefragt ist, dann jetzt ganz besonders.

Auch Lindinger dozierte später gerne. Links eine seiner Farbstudien bei Albers, 1955 (Foto: Thorsten Scherz, 2018, mit freundlicher Genehmigung)

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