„Das Limit des Machbaren erreichen.“

10.08.2018
Foto: Andreas Körner

Wolfgang C.R. Mezger, geb. 1951, studierte, nach etlichen musikalischen Projekten und einer Ausbildung zum Typografen, Industriedesign an der Hochschule für Gestaltung Schwäbisch Gmünd.

Nach freiberuflicher Tätigkeit gründet er 1983 das DesignBüro Wolfgang C.R. Mezger. Neben seiner beruflichen Tätigkeit als selbständiger Designer für internationale Top-Firmen in USA, Großbritannien, Italien, Holland, Österreich, Schweiz und Deutschland, nimmt er Lehraufträge an verschiedenen Designhochschulen in Berlin, London und Schwäbisch Gmünd wahr. Seit 2007 befindet sich das Büro in Göppingen, wo er mit seinem Team vielfältige, innovative Produkte entwickelt. Davon zeugen bis heute mehr als 80 internationale Designpreise.

 

Herr Mezger, Sie haben in Ihrer Karriere bereits über 333 Produkte realisiert. Was ist das faszinierende daran, einen Stuhl zu entwerfen?

Grundsätzlich ist der Stuhl die größte Herausforderung für einen Gestalter überhaupt, sei er nun Designer oder Architekt. Der Stuhl ist sozusagen die Königsdisziplin sämtlicher Gestaltungsaufgaben. Er ist gleichzeitig Funktion und Skulptur, Technik und Poesie. Er ist optisch wirkungsvoll und wir müssen ihm gestatten uns aufnehmen zu dürfen. Es wird ein fast intimes Verhältnis hergestellt, indem wir diesem „Ding“ unseren Körper anvertrauen. Genau deshalb, wegen all dieser Parameter, fasziniert und fesselt uns dieses spannende Thema und wir sind mit Enthusiasmus dabei, Stuhl und Stuhlprogramme in all ihren Facetten zu entwerfen.

 

Aula ist nun der erste Stuhl, den Sie für Wilkhahn entworfen haben. Ein stapelbarer Universalstuhl aus Vollkunststoff, das klingt knifflig. Was waren da die größten Herausforderungen?

Hierzu muss zuerst eine klare Trennlinie gezogen werden. Es gibt ja unzählige Plastikstühle, auch unter dem Namen Monoblockstühle bekannt, die mindestens in jeder zweiten Außengastronomie auftauchen. Auch gibt es eine Vielzahl an Plastikstühlen, die den Fashionmarkt bedienen. Die hier vorgestellte Konzeption bedient ganz andere Zielgruppen, z.B. in Verwaltung, Büros, öffentlichen Gebäuden und Veranstaltungsorten etc. Gefordert wird hier absolut anspruchsvolle Qualität und höchster Designanspruch – das ist dann nicht mehr Plastik sondern im Wortsinne Kunststoff.

Um dem Namen Universalstuhl gerecht zu werden, muss Aula modular aufgebaut sein; alle Ausführungen sind stapelbar, der Stuhl kann mit und ohne Armteile eingesetzt werden, außerdem sind unterschiedliche Farbkombinationen und Polsterausführungen möglich, perspektivisch sogar unterschiedliche Materialien. Die größte Herausforderung war es,  all diese Funktionen auf elegante Art in das Produkt zu integrieren und zur Produktionsreife zu bringen. Überhaupt dem Senkrechtstapler solch filigrane Querschnitte zu verpassen – und dies ohne jeglichen Einsatz von Metalleinlegern –, war von Anfang an frech und herausfordernd, aber von uns unbedingt gewollt. Man kann sich vorstellen, dass hier etliche Versuche des subtilen Herantastens notwendig waren, um das Limit des Machbaren zu erreichen.

Aula wirkt wie aus einem Guss. Welche gestalterische Idee liegt dem Entwurf zugrunde?

In der Gestaltung gibt es zwei wesentliche Richtungen, die additive und die substraktive Vorgehensweise. Additiv ist Gestaltung durch Zusammensetzen von Komponenten. Subtraktiv ist eine bildhauerische Vorgehensweise. Man schlägt, bzw. substrahiert, überflüssiges Material weg, um die im Stein „verborgene Skulptur“ zu erschaffen. Aula besteht aus drei Haupt-Komponenten, Schale, Gestell und Armteile. Das ist zunächst klassisch additiv. Aber nach dem Zusammenfügen kommt der bildhauerische Anspruch zum Zug. Wir nennen das integrative Gestaltung, weil die Komponenten fließend und geschmeidig ineinander übergehen. Das Gestell schmiegt sich an die Schale, das Armteil fügt sich geschmeidig ein in das Gestell, das gleiche gilt für das Passepartout beim Stuhl ohne Armteile. Diese Harmonie erzeugt den Eindruck, als sei der Stuhl aus einem Guss, sozusagen bildhauerisch entstanden. Das ermöglicht einen überzeugenden Auftritt in ganz unterschiedlichen Architekturen.

 

Wie würden Sie Sitzkomfort definieren? Und welche Rolle spielt er im Entwurf für Aula?

Der Sitzkomfort muss sofort eine überraschende, positive Meinung erzeugen. Es muss sich spontan ein Wohlgefühl einstellen. Dies gilt für jede Art von Sitzmöbel. Und doch gibt es Unterschiede für verschiedene Einsatzbereiche: Der Sitz in einem Raumfahrzeug zwingt zu ständigem Sitzen in einer Position. Ganz anders ein Polstermöbel, in das man sich hineinlümmelt. Ebenso Warteprogramme, Gestühl in der Gastronomie oder Sitze in öffentlichen Verkehrsmitteln sind anderen Gesetzen unterworfen. Bei Aula kann man das präzisieren. Neben dem spontanen Wohlgefühl, wird man bei einer Vielzahl von Sitzhaltungen gestützt , auch bei längerem Sitzen, wobei natürlich auch dynamisches Sitzen in all seinen Variationen möglich ist. Um hier die idealen Sitzkonturen kreieren zu können, haben wir nicht nur unsere langjährige Erfahrung in Sitzergonomie mit eingebracht, sondern auch fortlaufend Tests auf einer sogenannten Sitzmaschine mit verschiedenen Personen beiderlei Geschlechts durchgeführt und die Ergebnisse penibel in die Gestaltung mit eingebracht.

 

Herr Mezger, eine letzte Frage an Sie als passionierten Musikliebhaber: Wenn es ein Orchester aus musizierenden Stühlen gäbe, welcher Part würde am besten zu Aula passen?

Der Stuhl Aula in seiner ganzen Komplexität ist ein „Tausendsassa“. Er ist mit seiner skulpturalen Qualität sowohl individueller Solist, punktet aber auch im strengen linearen Verbund, und macht genauso im lockeren Ensemble eines Orchesters eine gute Figur. Also auch ein genialer Teamplayer. Der Dirigent wird seine Freude mit Aula haben.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

 

DesignBüro Wolfgang C.R. Mezger

Sehen Sie auch das Making-of Aula mit Wolfgang C.R. Mezger

Mehr Informationen zum Mehrzweckstuhl Aula gibt es hier

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