„Interkulturelle und Gender-Aspekte sind in unserer Produktentwicklung schon lange präsent.“

28.03.2017

Dr. Dorothea Giesecke-Kuppe hat als CTO Chief Technical Officer bei Wilkhahn unter anderem den größten Auftrag in der Firmengeschichte des Büromöbelherstellers elegant gestemmt. Derzeit bereitet sie die Neustrukturierung der Produktionsabläufe im Wilkhahn-Werk in Bad Münder vor. Dabei hatte die promovierte Wirtschaftswissenschaftlerin und Volkswirtin ursprünglich eine akademische Karriere im Sinn. Dass die 1958 Geborene überhaupt Abitur machen und studieren durfte, verdankt sie dem starken Willen ihrer Mutter. Wir sprachen mit Dorothea Giesecke-Kuppe über falsche Illusionen, den richtigen Auftritt und passende Bücher.

Wilkhahn-CTO Dr. Dorothea Giesecke-Kuppe

Frau Dr. Giesecke-Kuppe, ist Managerin Ihr Traumberuf?

Ich wollte mal Architektin werden. (lacht) Aber das hat mir ein Berufsberater nach dem Abitur ausgeredet. Ich fand Ökonomie und Wirtschaftswissenschaften interessant. Nicht, weil ich ins Management wollte. Ich wollte sehen, wie die Wirtschaft die Politik und gesellschaftliche Zusammenhänge beeinflusst. Ich habe Wirtschaftswissenschaften in Hannover studiert. Arbeitsmarktpolitik hat mich interessiert, darüber habe ich auch promoviert: Angebot und Nachfrage auf Arbeitsmärkten, also Arbeitsökonomie.

 

Liegt Ihnen die Wissenschaft im Blut?

Nein, familiär nicht. Ich komme aus dem Großraum Hannover, aus dem ländlichen Isernhagen. Mein Großvater war noch Bauer, und ich durfte als erster Abkömmling der Familie Giesecke Abitur machen. Das war der Wunsch meiner Mutter. Sie legte Wert darauf, dass ich „nicht so hart meine Brötchen verdienen sollte“ wie sie. Meine Mutter war im Verkauf tätig, sie hat mich sehr gefördert. Zum Beispiel sollte ich nicht auf die „Pantoffelschule“ gehen in Isernhagen. Das war eine Grundschule, in der die ersten drei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet wurden. Sie empfand das als schlechte Vorbereitung auf das Gymnasium, auf das sie mich schicken wollte. Das war ihr fester Plan für mich. Ich war eine gute Schülerin, Lernen hat mir immer Spaß gemacht. Das liegt mir vielleicht im Blut. (lacht)

 

Wie kamen Sie denn von der Uni in die freie Wirtschaft?

1990 war ich Anfang 30, hatte promoviert und eine Habilitationsstelle. Doch da nach der Wende viele Mittel in die neuen Bundesländer flossen, war nicht klar, ob diese Stelle auch verlängert werden würde. Ich habe mich dann umentschieden. Bei diesem Prozess fand ich Unterstützung bei dem Vater meines damaligen Freundes, der eine Art Mentor für mich war. Er saß im Vorstand eines Unternehmens in Salzgitter und riet mir zum Wechsel in die freie Wirtschaft. Während der Habilitation hatte ich ein Graduiertenstipendium, aber bevor ich dort überhaupt hingekommen bin, habe ich in der Handwerkskammer in Hannover Kurse gegeben für Auszubildende und Meister. Die waren natürlich nicht an Volkswirtschaftslehre interessiert, die brauchten Buchhaltung und Kostenrechnung. Davon hatte ich nach dem Studium überhaupt keine Ahnung. Das kann ich heute ruhig sagen, Jochen Hahne weiß das auch. (lacht) Ich habe mir dann einfach ein paar Bücher geschnappt. Ich war immer der Überzeugung, dass BWL so einfach ist, dass man es sich anlesen kann, wenn man es braucht.

 

Und?

Ja, das war so. Hat geklappt. (lacht)

 

Wohin hat es Sie denn zunächst verschlagen?

Ich bin nach Frankfurt gegangen, war dort sieben Jahre für Finanzen und Controlling zuständig in einem mittelständischen Unternehmen, bis 1997. Es hat mir zunächst viel Spaß gemacht, aber das Unternehmen stagnierte stark und war dann auch rückläufig. In der FAZ sah ich ein Inserat von Wilkhahn: Leitung Rechnung und Finanzwesen gesucht, Ansprechpartner Jochen Hahne. Ihn kannte ich von der Uni, Wilkhahn kannte ich auch. Es ging um eine Altersnachfolge, die ich dann 1998 übernommen habe. Wilkhahn war größer und hatte eine internationale Struktur, ich musste mich erst mal einarbeiten.

 

Ist das etwas, das Sie auch jüngeren Frauen raten würden, die eine ähnliche Position anstreben wie Sie?

Ich kann immer nur raten, sich ein Beispiel zu nehmen an erfolgreichen Männern. Es geht aber nicht darum, vor Selbstsicherheit zu strotzen. Ich habe oftmals im Berufsleben eine gewisse Unsicherheit empfunden und dann gedacht: Das kann doch gar nicht sein! Du bist ja nicht dümmer als andere, und weniger gelernt hast Du auch nicht! In den Führungsebenen sitzen ja vorwiegend Männer, und Männer geben sich untereinander anders. Eher wie Buddies, die miteinander scherzen. Frauen – oder wenigstens ich – denken dann oft: Wann kommen wir endlich zur Sache? Gut, anstößige Witze werden nicht mehr gemacht. Aber solche Situationen gab es auch.

 

Und wie haben Sie die für sich gelöst?

Ich provoziere manchmal noch mehr, setze also richtig einen oben drauf, so dass man sich wundert. Das ist meine Methode

 

Bei Wilkhahn sind Sie ja als Frau nicht alleine auf der Führungsebene. In den USA vertritt Simone Vingerhoets-Ziessmann Wilkhahn als CEO. Tauschen Sie sich manchmal aus?

Simone Vingerhoets-Ziessmann sehe ich natürlich kaum, sie ist ja in den USA. Doch es gibt manchmal Momente zwischen uns, die sind wie ein Augenzwinkern, weil wir eine Situation ganz anders wahrnehmen und einordnen als die Männer.

 

Bei vielen Büromöbel-Herstellern werden allein die körperlichen Unterschiede zwischen Männern und Frauen nicht berücksichtigt. Es gibt Konferenzstühle, deren flexible Rückenlehne sich erst ab einem Körpergewicht von 70 Kilogramm neigt. Wie ist das bei Wilkhahn?

Ich glaube, dass wir bei Wilkhahn schon etwas anders ticken. Wir sind auch in puncto Internationalität ganz anders aufgestellt. Ich bin in einer Phase zu Wilkhahn gekommen, als es um eine Markterweiterung Richtung Australien ging, die ich sehr aktiv mitgestaltet habe. Danach kamen die USA. Wilkhahn hatte zudem schon lange Lizenznehmer in Japan. Amerikaner und Japaner unterscheiden sich körperlich ja ziemlich. Und selbstverständlich werden unsere Produkte auch für Frauen gemacht. Ich denke, sowohl interkulturelle als auch Gender-Aspekte sind bei uns in der Produktentwicklung schon sehr lange präsent.

 

Merken

Den Wilkhahn-Bürodrehstuhl ON gibt es in drei Rückenhöhen, drei Armlehnenvarianten und drei Polstervarianten. Der Gegendruck der Rückenlehne lässt sich per Schnelleinstellung mit zwei Fingern und nur wenigen Umdrehungen individuell regulieren – für Körpergewichte von 45 bis 120 Kilogramm.

 

Was fällt Ihnen auf, was Frauen anders machen als Männer? Was könnten sie besser machen?

Frauen glauben häufig, sie müssten alles über Inhalte lösen, über Arbeit und Leistung. Aber ich weiß inzwischen, dass das nur die halbe Miete ist. Die anderen 50 Prozent sind einfach Kommunikation: Wie binde ich andere ein? Wie verkaufe ich meinen Inhalt? Früher hat es mich erbost, wenn mir das jemand gesagt hat. Mir ist es leichter gefallen, etwas noch analytischer zu durchdenken, anstatt mir zu überlegen, wie ich meine Strategien am besten verpacke, damit ich andere überzeugen kann. Dazu gehört auch der richtige Auftritt. Ich habe eine Patentochter, die gerade promoviert. Ihr versuche ich immer klarzumachen, dass sie sich irgendwann andere Kleider zulegen muss, selbst wenn ich seinerzeit auch in Jeans und Parka herumgelaufen bin. Das will sie natürlich nicht hören, sie will ja für ihre Leistungen und Inhalte Anerkennung bekommen. Es wäre schön, wenn Frauen dazu einen spielerischen Zugang finden könnten. Zudem ist es wichtig, sich immer Verbündete zu suchen.

 

Sie sind seit 2015 CTO. Wie war das am Anfang?

Es galt, den größten Auftrag in der Firmengeschichte abzuwickeln, das waren 10.000 Arbeitsstühle für ein Projekt in Abu Dhabi. Dafür habe ich die Verantwortung übernommen, für Produktion und Auslieferung. Die zentralen Fragen betrafen Kommunikation und Koordination – dafür zu sorgen, dass die entscheidenden Personen die Nerven behalten. Wir haben den Auftrag dann sehr erfolgreich abgewickelt. Letztes Jahr haben wir dann in Polen eine Polsterfirma gekauft. Dabei habe ich die vertragliche Seite geregelt, nun folgt das „Doing“. Dazu bin ich ständig im Kontakt mit dem Betriebsleiter und dem Beschaffungsleiter. Das sind wichtige Themen.

 

Was sind denn die nächsten großen Herausforderungen für Sie?

Wir wollen die Fertigung und den Materialfluss im Werk neu organisieren. Das heißt, wir werden auch das Rohmateriallager an die Fertigung andocken. Es liegt heute außerhalb des Fertigungsgeländes, so dass wir per LKW alle Teile eigens herbringen müssen. Das ist sehr aufwändig. Deshalb muss der ganze Materialfluss neu aufgesetzt werden. Vor dem Hintergrund, dass wir unser Produktportfolio weiter entwickeln werden, sind zudem Änderungen hinsichtlich des Fertigungskonzeptes notwendig, beispielweise was die Kapazitäten und die Montage-Inseln anbelangt. Dafür erstellen wir gerade einen Projektplan und werden den in den nächsten zwei bis drei Jahren auch umsetzen.

 

Wird das auch mit baulichen Veränderungen einhergehen?

Die schönen Gebäude von Herbert Hirche, Frei Otto und Thomas Herzog betrifft das nicht. Aber wir haben ja auch ein paar klassische Industriebauten aus den siebziger Jahren, in denen die Hauptmontage stattfindet. Die muss erneuert werden. Wahrscheinlich werden wir doppelstöckig bauen und ein Lager integrieren.

 

Wenn Sie schon dabei sind, so viel neu zu strukturieren: Könnten Sie sich vorstellen, für die Umgestaltung des Firmencampus’ einmal einen Architektenwettbewerb durchzuführen?

Also, das kann ich noch nicht sagen. Ich habe noch nicht das passende Buch darüber zu Ende gelesen. (lacht)

 

Es wäre Ihnen jedenfalls zuzutrauen. Frau Dr. Giesecke-Kuppe, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

 

 

Mehr über unsere Unternehmenspolitik erfahren Sie hier.

Suscríbete a nuestro boletín

regístrate ahorano, gracias

Abonnez-vous à notre newsletter

inscrivez-vous maintenantNon, merci

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt registrierenNein, Danke

Subscribe to our newsletter

register nowNo, thank you