Virtual Reality

08.10.2020

Dass die Planung von Büros immer den Menschen in den Mittelpunkt stellen sollte, versteht sich eigentlich von selbst. Doch machen globale Megatrends wie Digitalisierung, Nachhaltigkeit und Gesundheit die Sache komplexer denn je. Mit einem virtuellen Gebäude zeigt Wilkhahn nun, wie eine zukunftssichere Bürowelt aussehen könnte, die nach den Prinzipien des „Human Centered Workplace“ geplant ist: Mitten in Nordhafen, einem ehemaligen Industrieareal Kopenhagens, ist eine beispielhafte Bürowelt mit knapp 1.200 Quadratmetern entstanden. Sie stellt die Zusammenarbeit der Menschen mit all ihren Bedürfnissen in den Mittelpunkt. Dazu gehört, dass sie sich dem urbanen Umfeld öffnet, das sich gerade zu einem  Prototypen einer Zukunftsstadt entwickelt. Wir sprechen mit Georg Thiersch vom Studio 1zu33 und Frederik Bellermann von Wilkhahn über das Konzept und die Umsetzung des virtuellen Projektes.

Georg Thiersch, Geschäftsführer bei 1zu33: Georg Thiersch studierte Architektur und Design an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart. Nach diversen Stationen, u.a. bei Steidle & Partner sowie Gluckman Mayner Architects in New York City, verantwortet er seit 2007 zusammen mit Partner Hendrik Müller die Leitung von 1zu33 in München. Das international tätige Studio steht für interdisziplinäre Expertise in den Bereichen Interior Design, Architektur und Kommunikation im Raum. Foto: Verena Kathrein
Frederik Bellermann, Strategic Marketing Manager, Wilkhahn: Frederik Bellermann ist Innenarchitekt und Architekt mit Spezialisierung auf Design Thinking. Nach mehreren Jahren in der Design-Forschung an der TH Ostwestfalen-Lippe wechselte er in die Praxis – als Berater für Workplace Design und Change Management bei combine Consulting. Seit 2019 ist Frederik strategischer Marketing Manager bei Wilkhahn und dort u.a. federführend als Experte rundum das Thema Human Centered Workplace tätig. Foto: privat

Herr Thiersch, als Experte für Markenwelten wissen Sie, wie man die Kernwerte einer Marke räumlich erfahrbar macht. Mit 1zu33 haben Sie bereits zahlreiche Showrooms und Stores für Marken aus dem Interior-Bereich entwickelt und realisiert. Was hat Sie an der Marke Wilkhahn besonders interessiert?

Wilkhahn ist unter den Herstellern für Büromöbel ein wahres Urgestein. Als familiengeführtes Unternehmen steht Wilkhahn seit Generationen für einen außergewöhnlich hohen Anspruch an die Qualität ihrer Produkte, aber auch für eine Unternehmensphilosophie, die Produkte nicht isoliert entstehen lässt, sondern stets in einen größeren gestalterischen und inhaltlichen Zusammenhang stellt. Produkte entstehen aus konzeptionellen Ansätzen zu Arbeitswelten, die nicht nur weit über das Einzelstück oder die Serie hinausgehen, sondern auch innerhalb des Unternehmens ein besonderes dichtes Umfeld entstehen lassen, das besonders für Architekten und Planer, aber auch für den Verbraucher selbst Quelle für Inspiration und Anknüpfungspunkt zur Identifikation bedeuten kann. Wilkhahn ist derzeit im Begriff diese Anknüpfungspunkte mit besonderem Fokus auf die Kommunikation mit Architekten und Planern, aber auch mit Endkunden zu stärken – eine neue Art der Kommunikation entsteht.

 

Eine neue Art der Kommunikation – das klingt nach einer Aufgabe, die ganz in Ihr Portfolio passt…

Ja, allerdings. 1zu33 steht für die sensible Entwicklung starker räumlicher Kommunikationskonzepte für Unternehmen mit Historie und Identität. Für uns ist die gemeinsame Entwicklung dieser neuen Art der Kommunikation für Wilkhahn aus den starken Wurzeln des Unternehmens besonders spannend.

 

Für Wilkhahn haben Sie ein virtuelles Gebäude konzipiert, das eben kein Showroom ist, sondern am Beispiel eines fiktiven Unternehmens den ganzheitlichen Ansatz eines „Human Centered Workplace“ mit all seinen Dimensionen veranschaulicht. Welche Unterschiede gab es dabei im Vergleich zu Ihrer üblichen Arbeitsweise?

Wir haben ganz bewusst versucht, in diesem Projekt keine Unterschiede zu dem Entstehungsprozess einer realen Arbeitswelt entstehen zu lassen. In einer ausgedehnten Vor-Konzeptionsphase wurde ein virtueller Nutzer der Räumlichkeiten mit seinen besonderen Anforderungen an die Arbeitswelt in einem möglichst breiten Nutzungsspektrum definiert und damit die Relevanz als Blueprint für andere Projekte sichergestellt. Innerhalb dieses Spektrums haben wir den Entwurfs- und Gestaltungsprozess nicht anders als in einem realen Projekt verfolgt und eine bis ins Detail durchdachte Planung erstellt. Der wesentliche Unterschied zu einem realen Projekt ist jedoch die individuelle Skalierbarkeit der einzelnen Arbeitsbereiche, die es anderen Planern und Architekten ermöglichen soll, das Projekt als Grundlage eigener Planungen zu verwenden.

 

Das virtuelle Gebäude in Kopenhagen steht beispielhaft für eine ganzheitliche Idee, die auch in der Realität und an anderen Orten der Welt funktioniert. Welchen Nutzen können Architekten und Planer aus dieser digitalen Projektion ziehen, wenn sie reale Projekte planen?

Wie erwähnt war für uns der mögliche Transfer von einem virtuellen hin zu einem realen Projekt ein besonders wichtiger Begleiter bei der Konzeption der Arbeitswelt. Architekten und Planer können die einzelnen Funktionsabschnitte der virtuellen Arbeitswelt wie Bausteine eines Toolkits verwenden und auf ihre Bedürfnisse hinsichtlich Größe und Gestaltung anpassen. Das funktionale Spektrum der virtuellen Arbeitswelt ist breit und reicht von konzentrierter Arbeit im Einzelbüro über hoch flexible Räume eines Think-Tanks bis hin zu frei möblierbaren Arbeitsflächen und vielfältigen Angeboten an Kommunikationsräumen und -flächen. Die Auswahl erlaubt es Architekten und Planern, beinahe jede Anforderung an eine reale Arbeitswelt abzubilden.

Der „Human Centered Workspace“ als Tool: Für die virtuelle Planung von Büroräumen entwickelt, hilft es nicht nur die Architekten und Bürofachplanern, um Räumlichkeiten zu planen, sondern auch Entscheidern in Unternehmen als Management-Tool. Abbildungen: 1zu33 / Wilkhahn / www.the-subdivision.com

Herr Bellermann, mit „Human Centered Workplace“ gibt Wilkhahn nicht nur einen Einblick in die Zukunft, sondern liefert auch Antworten auf die Frage, wie Bürowelten aussehen, in denen wir uns selbst übermorgen noch wohlfühlen. Wie sind Sie an das Update eines Themas herangegangen, das bei Wilkhahn ja nicht erst seit gestern auf der Agenda steht?

Wir beschäftigen uns tatsächlich schon lange mit der Frage, wie wir unsere Produkte so gestalten können, dass sie einen möglichst positiven Beitrag bei der Gestaltung zukunftsgerechter Arbeitswelten leisten. Diese Vision hat uns geholfen, eine klare Haltung zu entwickeln: Im „Human Centered Workplace“ haben wir die zentralen, übergeordneten Aspekte zusammengeführt und damit eine Orientierungshilfe geschaffen. Sie soll uns und unseren Kunden ermöglichen, die richtigen Fragen zu stellen. Bei der Konzeption und Planung von zukunftsgerechten Arbeitswelten, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, ist es aus unserer Sicht zwingend notwendig, sich mit den individuellen Anforderungen im Kontext der Nutzung auseinanderzusetzen. Durch diese Fragen sehen wir uns als Impulsgeber für moderne und agile Arbeitswelten. 

 

Von der Stadt, dem Quartier über das Gebäude in den Raum bis hin zum Möbel. Jede Ebene erfordert unterschiedliche Betrachtungen, wenn es um den Anspruch „human centered“ geht. Wie sieht es auf der Ebene des unmittelbaren Körperkontaktes aus, also den Möbeln? Welche Rolle spielt das Design?

Inzwischen hat sich herumgesprochen, dass die Ausstattung von Büroräumen ganz wesentlich die Attraktivität eines Unternehmens beeinflusst. Denn die Arbeitswelt ist sichtbarer Ausdruck der Identität. Ob bewusst oder nicht, sie spiegelt Haltung und Wertesystem des Unternehmens und der Organisation wider. Um als attraktiv wahrgenommen zu werden, benötigt Identität vor allem zwei Dinge: Eindeutigkeit und Unterscheidbarkeit von Anderen. Daher ist hier ein Design gefragt, das sich jenseits schnelllebiger Trends durch Kontinuität, Konsequenz und Konsistenz auszeichnet. Außerdem zahlt gutes Design natürlich auch auf das Wohlbefinden der Menschen ein: es führt zu Stressreduktion, fördert die körperliche Bewegung und leistet dadurch einen positiven Beitrag zur Gesundheit. Und nicht zuletzt macht gutes Design Qualität und Nachhaltigkeit unmittelbar erfahrbar.

  

Das Wohlfühlen am Arbeitsplatz stellt nicht nur gesundheitlich und sozial einen Mehrwert dar. Für Unternehmen kann das auch wirtschaftlich betrachtet auf den Profit einzahlen. Welche Faktoren sind hier ausschlaggebend und wie kann die Büroplanung hierfür die richtigen Rahmenbedingungen schaffen?

Menschen, die sich wohlfühlen, arbeiten produktiver. Wohlfühlen oder Wohlbefinden sind natürlich keine Faktoren, die sich in Zahlen ausdrücken lassen. Dennoch sind die Einflussfaktoren recht klar herzuleiten: Von großer Bedeutung ist zum Beispiel das Gefühl der Selbstbestimmung. Mitarbeiter, die sich ihren Arbeitstag flexibel gestalten können, sind gesünder, leistungsfähiger und entspannter. Auch Sozialbereiche leisten hier in doppelter Weise einen wertvollen Beitrag. Zum einen ist der Wechsel zwischen Sitzen, Stehen und Bewegung für den Körper eine Wohltat, zum anderen sind der informelle Austausch und eine bewusste Pausenkultur für Gesundheit und Wohlbefinden wichtig. Generell gilt: je besser ein Bürokonzept unterschiedlichen Situationen und individuellen Vorlieben gerecht werden kann, umso höher sind Wohlfühlfaktor und Produktivität.

 

Zum Schluss noch eine eher persönliche Frage, Herr Bellermann: Wenn Sie nur einen Gegenstand, ein Möbelstück oder ein Accessoire für Ihren eigenen Arbeitsplatz zur Verfügung haben dürften, wofür würden Sie sich entscheiden und warum?

Spontan fällt mir der AT Mesh ein, für mich der beste ergonomische Drehstuhl. Historisch vermittelt das Ende der 1960er von der Französin Annie Tribel für Wilkhahn entwickelte „Coupé“ perfekt den Gedanken des Human Centered Workplace: eine futuristische Sitzmuschel inklusive integrierter Beleuchtung für unterschiedliche Lichtsituationen und Telefon. Es war für ein Café geplant – und nicht zufällig beinhalten zukunftsweisende Arbeitswelten Aspekte aus Gastronomie und Hotellerie: sich willkommen und gut aufgehoben zu fühlen – und das nicht nur in der Teeküche.

 

Herr Thiersch, wofür würden Sie sich entscheiden? 

Während mir in den vergangenen Jahren ein guter Kaffee der wesentliche Begleiter am Arbeitsplatz war, ist es heute – und dies kann ich völlig unabhängig von der Zusammenarbeit mit Wilkhahn sagen – ein gutes Sitzmöbel. Ein Sitzmöbel, das mich unterstützt, diese auf Dauer ungesunde Arbeitshaltung besser zu ertragen, bzw. das mich darin bestärkt, unterschiedliche Körperhaltungen in meinen Alltag zu integrieren: Sitzen, Stehen, Gehen…. Bewegung ist für mich der Schlüssel zu einem gesünderen Arbeitsalltag – und beginnt schon beim Sitzen.

 

Vielen Dank für das Gespräch!

 

Weitere Informationen zum „Human Centered Workplace“ finden Sie direkt auf der Website von Wilkhahn.

Suscríbete a nuestro boletín

regístrate ahorano, gracias

Abonnez-vous à notre newsletter

inscrivez-vous maintenantNon, merci

Abonnieren Sie unseren Newsletter

Jetzt registrierenNein, Danke

Subscribe to our newsletter

register nowNo, thank you